BauwirtschaftAuf der Baustelle droht Stillstand

Schwierige Zeiten für die Baubranche: Städte im Kammerbezirk berichten von sinkender Zahl an Bauanfragen. Mancherorts werden Grundstücke zurückgegeben. Auch im Wohnungsneubau werden drastische Rückgänge erwartet.

Hausneubau-Baustelle mit Bagger
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Inflation, Explosion der Materialkosten, Zinserhöhung – potenzielle Häuslebauer, aber auch Bauträger haben es derzeit nicht leicht. Die Bau- und Ausbaubrache beobachtet die Entwicklungen mit Sorge. Der Bauboom der vergangenen Jahre ist vorerst vorbei, so das Ergebnis mancher Studie. „Für das Jahr 2023 werden teils drastische Rückgänge im Wohnungsneubau erwartet. Einfamilienhausanbieter rechnen mit einem Einbruch um 30 bis 50 Prozent. Aber auch im Mehrfamilienhausbau sind deutliche Rückgänge zu erwarten, da sich unter den neuen Rahmenbedingungen mit den gestiegenen Zinsen und Errichtungskosten Miet- und Kaufpreise ergeben, die am Markt kaum noch durchsetzbar sind“, heißt es im Bauforschungsbericht der ARGE Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. Bei den Kommunen im Kammerbezirk ist die Entwicklung unterschiedlich.

Zurückhaltung bei der Bauplatzvergabe

„Wir spüren aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen eine gewisse Zurückhaltung. Die Bauplatzverkäufe im Baugebiet Gassenäcker werden dieses Jahr abgeschlossen. Wir hatten eine sehr lange Bewerberliste, welche wir aktuell abarbeiten. Zur Sicherung der Bauvorhaben räumen wir den Bewerbern einen längeren Zeitraum für die Entscheidung (Finanzierung, Planung) ein. Für fünf Plätze steht die Erwerbszusage noch aus“, informiert Madlen Falke, Pressesprecherin der Stadt Villingen-
Schwenningen. Bauplätze seien aber bislang noch keine zurückgegeben worden. „Wenn die Bewerber Probleme bei der Finanzierung sehen, angesichts der unsicheren Baupreise, treten sie vom Vorhaben zurück und schließen einen Kaufvertrag erst gar nicht ab. Aber wir haben einige Bewerber, die von sich aus gesagt haben, dass das Risiko zu groß ist und die die Bewerbung zurückgezogen haben“, so Falke weiter. 

In der aktuellen Regional-Analyse zum Wohnungsmarkt, die das Pestel-Institut (Hannover) für den Landkreis Rottweil gemacht hat, geben die Wissenschaftler auch eine eher düstere Prognose ab, wenn es um das Wohneigentum im Kreis geht. In den ersten sechs Monaten des Jahres gab es nach Angaben des Pestel-Instituts im gesamten Landkreis Rottweil lediglich 113 Baugenehmigungen für neue Ein- und Zweifamilienhäuser. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2022 waren es noch 182 Baugenehmigungen. „Damit ist der Eigenheimbau innerhalb von nur einem Jahr um 38 Prozent zurückgegangen“, sagt Matthias Günther. Der Leiter des Pestel-Instituts sieht „das Wohneigentum weiter auf der Rutschbahn“. Um eine Kehrtwende zu erreichen, müsse der Staat dringend ein effektives Wohneigentumsprogramm auf die Beine stellen.

Schockstarre im Landkreis Rottweil

„Der Traum vom eigenen Haus, von der eigenen Wohnung – er platzt gerade in Serie. Wenn es um das Anschaffen von Wohneigentum geht, ist auch der Kreis Rottweil quasi in eine Schockstarre verfallen“, sagt Katharina Metzger vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der die Wohnungsmarkt-Untersuchung beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat. Nur wenige Menschen könnten sich die eigenen vier Wände heute noch leisten. „Hohe Zinsen, hohe Baulandpreise, hohe Baukosten, die vor allem auch durch hohe Klimaschutz-Auflagen nach oben getrieben werden: Wohneigentum scheitert am Geld“, so Metzger. 

Das bestätigt auch Rottweils Oberbürgermeister Christian Ruf: „Die privaten Häuslebauer sind wie die Bauträger vorsichtig geworden, die Verunsicherung der Menschen angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Gesamtsituation schlägt hier voll durch.“ In den vergangenen Jahren habe es eine enorme Nachfrage nach Bauplätzen gegeben. In den Baugebieten Spitalhöhe und Göllsdorf habe die Zahl der Interessenten deutlich die Zahl der zu vergebenden Bauplätze überstiegen. Doch nun ist die Lage anders: „Beim jüngsten Baugebiet im Teilort Hausen haben bei der ersten Vergaberunde rund 75 Prozent der ursprünglichen Bewerber auf ihre Bauplatzzuteilung verzichtet und vorerst kein Grundstück erworben“, sagt Ruf.

Zurückgegebene Bauplätze gibt es in der Stadt Konstanz nicht, informiert der Städtische Pressesprecher Benedikt Brüne. Dennoch sei der Rückgang der Bautätigkeiten zu spüren. „Aufgrund der Rahmenbedingungen, wie Zinsen, Baukosten, Förderungen, ist es faktisch unmöglich, neue Bauprojekte im bezahlbaren Segment wirtschaftlich tragbar zu realisieren“, so Brüne. Er erwähnt zudem das Positionspapier, das auf die dramatische Krise im Wohnungsbau hinweist, und im Baudezernat für den Konstanzer Arbeitskreis Bündnis für Wohnen koordiniert wurde. In Waldshut-Tiengen sei zwar die Anzahl der Bauanträge gleich geblieben, teilt Tanja Schmid aus dem Sekretariat des Oberbürgermeisters mit. „Allerdings hat sich der Markt in Richtung Umbauten und Innenausbauten verlagert. Neubauvorhaben sind stark zurückgegangen. Ein Grund hierfür sind sicherlich die gestiegenen Baukosten sowie die Finanzierungskosten, was zunehmend zur Zurückhaltung bei Bauherren führt.“

So sieht es die Baubranche

Florian Fluck, Fluck Holz.Haus.Bau., Blumberg

„Ich stufe die derzeitige Lage als desaströs ein. Ich befürchte eine Zerlegung des Mittelstandes und speziell des Handwerks. Besonders für größere Projekte ab 100.000 Euro sieht es schlecht aus. Wir haben zum Glück viele Aufträge in der Schweiz und verlagern unser Geschäftsfeld im nächsten Jahr noch mehr dorthin. Das ist zwar viel Arbeit und auch rechtlich ein großer Aufwand, aber es ist eine Chance, die wir in Blumberg haben. Einfamilienhäuser werden derzeit kaum gebaut, im Wohnungsbau läuft gar nichts. Das ist eine Katastrophe. Zum Glück sind wir mit den Bereichen Hausbau, Objektbau wie Industrie-, Gewerbe- und Mehrfamilienhausbau sowie mit dem Modernisierungs-und Sanierungsbereich breit aufgestellt. Aber ich weiß nicht, wo das noch enden soll.“



Portrait von Florian Fluck
privat





Portrait von Abdullah Kilicdere
pirvat

Abdullah Kilicdere, Kili-Bau GmbH, Seitingen-Oberflach

„Die aktuelle Situation ist brisant. Den Rückgang im privaten Wohnungsbau spüren alle. Nun greifen auch die größeren Bauunternehmen auf kleinere Aufträge zurück, die vorher eher den kleineren Unternehmen vorbehalten waren. Schon während der Coronakrise war das Wohnungsbaugeschäft wegen der Lieferengpässe und hohen Materialkosten nicht einfach. Durch Festverträge konnten wir preislich nicht so flexibel reagieren. Da haben wir viel Lehrgeld gezahlt. Für uns war klar, dass der Wohnungsbau stagnieren würde. Deswegen bieten wir nun alternativ auch Altbausanierung an. Eine Nische, in die sich nicht jeder traut. Sanierung wird ein großes Thema bleiben. Auch der Industriebau läuft noch gut. Zusätzlich machen wir Gerüstbau, denn die Gerüstbauer sind voll ausgelastet und PV-Anlagen und Fassadensanierungen werden weiter stark nachgefragt.“



Kurzarbeit und Insolvenzen

Thomas Möller, Chef des Verbands Bauwirtschaft Baden-Württemberg, sieht die Branche auf Talfahrt. Handwerkern rät er, sich breiter aufzustellen.

Der Wohnungsbau ist in Baden-Württemberg massiv eingebrochen. Der Verband Bauwirtschaft Baden-Württemberg gibt an, dass die Auftragseingänge gegenüber dem Vorjahr preisbereinigt um über 25 Prozent zurückgegangen sind. Die Zahl der Baugenehmigungen ist im gleichen Zeitraum um über 30 Prozent gesunken. Ohne schnell wirkende stützende Maßnahmen von Seiten der Politik sieht Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer, die Baubranche auf Talfahrt. 

„Gefahr vermehrter Insolvenzen im Frühjahr“

„Ohne entsprechende Hilfen wird es ab diesem Herbst vermehrt zur Inanspruchnahme von Kurzarbeit und in diesem Winter zu Saison-Kurzarbeit kommen. Sollten konjunkturfördernde Maßnahmen ausbleiben, besteht spätestens ab Frühjahr 2024 die Gefahr vermehrter Insolvenzen und Arbeitslosenmeldungen von Firmen mit Schwerpunkt Wohnungsbau“, zeigt sich Möller alarmiert. Gerade auch bei Handwerksbetrieben könnte sich die Auftragslage verschlechtern. Möller sieht die Chance, frühzeitig in angrenzende Geschäftsfelder auszuweichen, wie etwa den Sanierungsbereich, wo die Auftragslage noch gut sei. „Andere Firmen versuchen, Projekte in Eigenregie zu entwickeln, um diese später zu verkaufen“, sagt er. Doch er sieht dabei erhebliche Risiken, wenn die Objekte nicht rechtzeitig oder nicht kostendeckend veräußert werden können. Einige Betriebe versuchten ihre Belegschaft über Kurzarbeit zu halten. Doch auch hier gebe es finanzielle Gefahren. „Während bei Bezug von Saison-Kurzarbeit die Erstattung des Sozialaufwands abgedeckt ist, muss der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge während des normalen Kurzarbeitergeldbezugs selbst tragen. Das kann Kurzarbeit auf Dauer nicht wirtschaftlich machen“, erläutert Möller. Hier würde eine Regelung wie bei Corona helfen, bei der die Bundesagentur für Arbeit die Sozialversicherungsbeiträge übernähme. Im Land fehlen neun Millionen Quadratmer Wohnraum, heißt es vom Verband. Für Möller untragbar: „Es gibt einen akuten Wohnungsmangel, und eigentlich sollten alle Betriebe mehr als ausgelastet sein.“ Im öffentlichen Infrastrukturbau laufe es derzeit etwas besser. „Hier ist sowohl der Bedarf als auch die Finanzierung gegeben. Allerdings verhindern komplexe Vorschriften und fehlendes Personal in den Verwaltungen eine schnelle Genehmigung“, kritisiert Möller.

„Politik sollte Grunderwerbssteuer senken“

So hat der Verbandschef dann auch ein Paket an Forderungen an die Politik im Gepäck. „Im Bereich Wohnungsbau brauchen wir Förderprogramme, die unmittelbar helfen, wie die Wiedereinführung der Förderung des EH 55-Standard.“ Außerdem würde eine Aussetzung oder Senkung der Grunderwerbsteuer für den privaten Bauherrn die Baukosten senken. „Jeder im Bausektor investierte Euro zieht weitere Euro an Folgeinvestitionen nach sich“, gibt er zu Bedenken. „Unter diesen Umständen kommt immer noch mehr Geld in den Staatssäckel, als wenn unter den derzeitigen negativen Rahmenbedingungen gar nicht gebaut wird.“

Schließlich drängt er auf die schnelle Einführung des digitalen Bauantrags und der digitalen Bauakte, um die Entscheidungswege zu verkürzen.