Aufbruch im HandwerkInterview: Innovationskraft des Handwerks
Neue Serie zeigt Zukunftsfähigkeit des Handwerks. Handwerksexperte Jörg Thomä erzählt zum Start, wie sich die Innovationskraft des Handwerks stärken lässt.

Herr Thomä, welches Innovationspotenzial steckt eigentlich im Handwerk?
Das Handwerk ist volkswirtschaftlich ein wesentlicher Akteur bei praxis- und lösungsorientierten Innovationsprozessen. Es ist vorne dabei, wenn es um die flächendeckende Verbreitung neuer Technologien geht, etwa bei der Digitalisierung. Durch die Anwendung der Produkte sind Handwerker außerdem wichtige Impulsgeber, die der Industrie nötige Verbesserungsvorschläge geben. Aber das Handwerk funktioniert auch als Übersetzer. Oft setzen Handwerker neue Technologien in neuem Kontext ein, wie der Lebensmittelhandwerker, der mit dem 3-D-Drucker Schokolade druckt. Als Problemlöser beim Kunden ist das Handwerk selbst Innovator. Wenn es keine Standardlösung gibt, dann wird eine individuelle Lösung gefunden. Und dann gibt es noch die originären Innovatoren, die tüftelnden Handwerker, die Produkte von der Idee bis zur Marktreife entwickeln.
Wie steht es im Kammerbezirk Konstanz mit dem Innovationspotenzial?
In den einschlägigen Innovationsrankings haben die Landkreise des Kammerbezirks zuletzt gut bis sehr gut abgeschnitten, etwa gemessen an Patentzahlen und Gründungen. Die Region ist ländlich geprägt und steht grundsätzlich wirtschaftlich robust da. In einem Gutachten des ifh Göttingen haben wir jüngst herausgefunden, dass innovative Handwerksbetriebe gerade in solchen Räumen ein starkes Gewicht haben. Je ländlicher, desto wichtiger ist der Innovationsbeitrag des Handwerks, davon ist auch im Kammerbezirk Konstanz auszugehen.
Also gute Voraussetzungen, um durchzustarten. Was zeichnet Innovationen aus dem Handwerk denn aus?
Die Innovationskraft beruht stark auf dem Erfahrungswissen, das in den Köpfen von Inhabern und Beschäftigten schlummert, und der damit verbundenen Könnerschaft, wie wir das in der Wissenschaft nennen. Das braucht Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, um sich herauszubilden und hängt stark mit der handwerklichen Sozialisationskette – Lehrling, Geselle, Meister – zusammen. Allerdings ist dieser Lern- und Innovationsmodus schlecht greifbar. So bleiben handwerkliche Innovationen oft unsichtbar, denn es sind meist individuelle Lösungen für einen Kunden. So gibt es oft keine radikalen Innovationssprünge, sondern viele kontinuierliche kleine Schritte. Es wird permanent verbessert und angepasst. Das wird leicht übersehen. Aber in Summe ist das auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sehr wichtig. Die Politik denkt in großen Umbrüchen und hat große Transformationsziele, etwa im Klimabereich. Oft wird dabei übersehen, dass es dafür in der Praxis viele kleine Umsetzungen und Anpassungsschritte braucht, also genau die anwendungsorientierten Innovationsprozesse, die wir in den vielen Kleinbetrieben des Handwerks finden. Ohne innovatives Handwerk gäbe es keine Energiewende.
Wie kann das Handwerk innovationsfreudiger werden?
Die Innovationsfreude der Betriebe hängt stark an der Person des Inhabers. Ist dieser offen und neugierig und geht auf mögliche externe Partner, aber auch auf seine Mitarbeiter zu, dann kann ein fruchtbares Innovationsklima im Betrieb entstehen. Auch Kooperationen mit anderen Betrieben können Ideen wecken. Vor allem wenn verschiedene Gewerke zusammenkommen, wird es schnell innovativ. Aber auch Interaktionen mit Unternehmen anderer Branchen oder Kooperationen mit Forschungseinrichtungen wie Fachhochschulen können das Erfahrungswissen und die Kreativität anregen. Dann beginnt sich das Innovationsrad zu drehen. Für diese Anstöße sind auch die Beratungs- und Informationsangebote von Kammer und Innung eine wichtige Quelle. Auf Ebene der Handwerksorganisation beobachte ich manchmal einen gewissen Traditionalismus, der da hinderlich ist. Das Festhalten an Althergebrachtem ist zwar berechtigt, da es das wichtige Erfahrungswissen als Innovationsquelle im Handwerk berührt. Aber es geht um eine gesunde Mischung aus Festhalten am Alten und der Bereitschaft auf Neues zuzugehen. Außerdem müssen die externen Rahmenbedingungen stimmen. Gerade kleine Handwerksbetriebe brauchen Planbarkeit und Sicherheit. In den letzten Jahren gab es viele Verunsicherungen durch die Wirtschaftspolitik. Zu viel Bürokratie nimmt den Betrieben die Luft und damit die Lust für Innovationen.
Im Handwerk wird recht wenig geklagt und nach Hilfe geschrien. Da wird vor allem gemacht und die Probleme werden gelöst.
Dr. Jörg Thomä, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen.
Was macht das Handwerk schon gut?
Grundsätzlich macht das Handwerk von Natur aus schon viel richtig. Bestes Beispiel ist das Thema Nachhaltigkeit: der schonende Umgang mit Ressourcen, lieber reparieren als wegwerfen. Das macht das Handwerk seit eh und je, aber da wird nicht viel drüber geredet. Auch der Umgang mit den Krisen und Umbrüchen der vergangenen fünf Jahre. Im Handwerk wird recht wenig geklagt und nach Hilfe geschrien. Da wird vor allem gemacht und die Probleme werden gelöst.
Das Handwerk ist gut durch die vergangenen Krisen gekommen. Woran liegt das?
Das hat vermutlich mit den vielen anwendungsorientierten Lern- und Innovationsprozessen zu tun. Die Betriebe schauen aufgrund der genannten „Machermentalität“ pragmatisch, wie sie das Beste aus ihrer Situation machen. Zum einen ist da eine stabilisierende Ebene durch die typischen Wertschöpfungsketten und Märkte, in denen das Handwerk aktiv ist. Handwerksbetriebe halten zudem in Krisen an ihren Mitarbeitenden fest, da das ihre wertvollste Ressource ist. Nach der Krise zahlt sich das aus. Die Arbeitsbeziehungen in den Betrieben sind oftmals familiärer, sozialer als in der Industrie. Dass das Handwerk erstmal als Wirtschaftsbereich stabil bleibt, befördert die zweite dynamische Komponente. Die Betriebe bleiben handlungsfähig, können reagieren und sich anpassen. Und da kommt der Innovationsmodus mit ins Spiel. Erfahrung, Kundennähe, Anpassung an Kundenwünsche und Marktveränderungen, diese Problemlösungskompetenz – das wirkt sich positiv aus.