Rund 400 Teilnehmer aus ganz Deutschland tauschten sich beim 18. Christiani Ausbildertag in der Bildungsakademie Singen über Praxisfragen aus dem Ausbilder-Alltag aus. Susann Hillan (rechts), Ausbildungsberaterin bei der Handwerkskammer Konstanz, moderierte das Forum ¿Willkommenskultur: Begrüßungskultur 2030 - Betriebe (er)werben Azubis¿.
Handwerkskammer Konstanz
Rund 400 Teilnehmer aus ganz Deutschland tauschten sich beim 18. Christiani Ausbildertag in der Bildungsakademie Singen über Praxisfragen aus dem Ausbilder-Alltag aus. Susann Hillan (rechts), Ausbildungsberaterin bei der Handwerkskammer Konstanz, moderierte das Forum ¿Willkommenskultur: Begrüßungskultur 2030 - Betriebe (er)werben Azubis¿.

Christiani Ausbildertag: Wie Azubis und Betriebe glücklich werden

Beim 18. Ausbildertag in der Bildungsakademie Singen haben sich die Besucher in zahlreichen Podien ausgetauscht

Wo soll sie herkommen, die Ausbildungsreife? Viele Schulabgänger bringen sie mit, doch bei immer mehr Jugendlichen bleibt sie irgendwo zwischen Elternhaus, Schule und Ausbildungsbetrieb auf der Strecke. Warum das so ist und was alle Beteiligten dagegen tun können, versuchte ein Forum auf dem 18. Christiani Ausbildertag in der Bildungsakademie Singen zu klären. „Was erwartet die Schule – Was fordert der Betrieb?“ war der Titel der von Dr. Stefan Baron (Baden-Württembergischer Handwerkstag) moderierten Diskussion am 28. September.

Die Zuhörer der Podiumsrunde waren sich schnell einig, dass die wichtigsten Verursacher der zunehmenden Ausbildungsunfähigkeit gar nicht im Raum waren: die Eltern, die ihre Kinder in zu vielen Fällen zur Unselbständigkeit erziehen. „In acht von zehn Fällen tragen die Eltern ihren Kindern die Schulranzen hinterher“, monierte ein Diskussionsteilnehmer. Als logische Folge dieser Überbehütung beobachten viele Betriebe eine steigende Versorgungsmentalität der jungen Auszubildenden. Gleichzeitig sinke die Bereitschaft, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, so die Erfahrung von Ausbildern.

Ausbilder vermissen Mathekenntnisse

Auf die ratlose Frage eines Teilnehmers, warum manche Abgänger der 9. Klasse nicht einmal die Grundrechenarten beherrschten, bestätigte Elke Großkreutz, Rektorin der Konstanzer Gemeinschaftsschule Gebhard: „Viele Schüler sind tatsächlich unselbständig.“ Es seien aber längst nicht alle schlecht in Mathe und Deutsch. Großkreutz betonte bei der Frage nach den Ursachen der Defizite, dass Deutschland nach wie vor zu wenig in Bildung investiere.



Podiumsteilnehmer Hartwig Hils, Leiter der gewerblichen Ferdinand-von-Steinbeis-Schule in Tuttlingen, sieht eine große Herausforderung in der wachsenden Kluft zwischen leistungsstarken und schwächeren Berufsschülern. „Wir müssen uns um beide Seiten kümmern“, betonte er: die Schwachen fördern, ohne die Starken zu vernachlässigen.

Alle Podiumsteilnehmer wünschten sich einen besseren Austausch zwischen allgemeinbildenden Schulen, Ausbildungsbetrieben und Berufsschulen, auch um die Berufsorientierung zu verbessern. Simon Kaupert, Lehrlingswart der Maler- und Lackiererinnung Westlicher Bodensee, formulierte dabei keine Wünsche an die Schulen, sondern forderte bei der Nachwuchswerbung mehr Einsatz von den Handwerkern. „Die Betriebe müssen selber in die Schulen. Wer sollte das Berufsbild denn besser vorstellen können als die Fachleute?“, sagte er.

Neue Wege bei der Nachwuchsgewinnung

Wie man Azubis gewinnt und an sein Unternehmen bindet, war Schwerpunkt des Forums „Willkommenskultur: Begrüßungskultur 2030 – Betriebe (er)werben Azubis“, das Susanne Hillan, Ausbildungsberaterin bei der Handwerkskammer Konstanz, moderierte. Der Blick in die Zukunft sollte verdeutlichen, dass sich der Wettbewerb um Azubis im Jahr 2030 angesichts von dann drei Millionen fehlenden Fachkräften noch verschärfen wird. Umso wichtiger wird es für Handwerksbetriebe, neuen Lehrlingen schon bei der Vertragsunterzeichnung das Gefühl zu geben, dass sie sich für das richtige Unternehmen entschieden haben.

Als einen wichtigen Baustein glaubwürdigen Personalmarketings erläuterte der Referent Dr. Alexander Klaußner den Weg zu einer stimmigen Willkommenskultur. Der Professor an der Münchner Macromedia Hochschule und Geschäftsführer der Mainau Erlebniswald GmbH enttäuschte alle, die auf einfach kopierbare Rezepte gehofft hatten. Musterlösungen gebe es nicht. Klaußner riet stattdessen: „Definieren Sie Ihre individuelle Herangehensweise, wie Sie Azubis gewinnen und halten.“ So könne jedes Unternehmen eine glaubwürdige Willkommenskultur entwickeln, die zu dem Betrieb wirklich passe.



Dienstleister vermarkten Berufsbilder

Wie sich Betriebe bei Azubi-Gewinnung und aktiver Berufsorientierung Schützenhilfe von Dienstleistern holen können, erklärte Markus Kamann, Geschäftsführer des Paderborner Projektierungsunternehmens GPDM. Als Beispiel nannte er ein neues Berufe-Zentrum in Paderborn, in dem er mit neun Unternehmen und weiteren Partnern elf Berufewelten für Schüler erlebbar macht. Die Besucher, oft Schulklassen, entscheiden selbst, ob sie in Fahrradwerkstatt, Elektroniklabor, Holzwerkstatt oder Pflegeraum Praxisluft schnuppern wollen. „Die Resonanz der Unternehmen ist enorm, weil sie zum ersten Mal das Gefühl haben, dass ihre Berufe attraktiv verkauft werden“, berichtete Kamann.

Dass der Kampf um die Gunst der Azubis mit der Vertragsunterzeichnung erst so richtig beginnt, verdeutlichte Nicole Glawe-Miersch von dem überbetrieblichen Ausbildungsnetzwerk BANG Hövelhof. Denn zwischen Abschluss des Ausbildungsvertrags und erstem Arbeitstag liegen viele Monate, in denen Jugendliche sich völlig anders orientieren können. Um das zu verhindern, setzt Glawe-Miersch in ihrem Netzwerk auf regelmäßigen Kontakt und Zugehörigkeitsgefühl. Begrüßungsschreiben, Countdown zum Ausbildungsstart mit praktischen Tipps, Kickoff-Event – der künftige Azubi soll sich lange vor dem ersten Arbeitstag willkommen fühlen. Mit demselben Ansatz und dem Ziel einer möglichst geringen Abbrecherquote begleitet das Netzwerk die Lehrlinge auch bis zur Prüfung.

Das Management der eigenen Willkommenskultur in die Hand eines Dienstleisters zu geben, sehen Glawe-Miersch und Kamann nicht als Widerspruch. „Wir unterstützen die Betriebe nur. Und bei einer Abbrecherquote von zwei Prozent der Azubis müssen wir wohl etwas richtigmachen“, sagte Kamann.