Gruppenbild im Grünen, auf dem Gelände des ZfP Reichenau mit Katja Haid, Dr. Daniel Nischk und Sandra Götz.
Handwerkskammer Konstanz
Stehen Auszubildenden mit psychischen Problemen zur Seite: Ausbildungsbegleiterin Katja Haid (links), Dr. Daniel Nischk und Job Coach Sandra Götz.

Experten-Interview"Psychische Krisen gehören zum Menschsein dazu"

Psychische Probleme in Job und Ausbildung nehmen zu. Im Interview erläutern Ausbildungsbegleiterin Katja Haid von der Handwerkskammer sowie Job-Coach Sandra Götz und der Leiter des Supported Employment am Zentrum für Psychiatrie Reichenau Dr. Daniel Nischk, wie man mit psychisch Beeinträchtigten umgeht und wo es Hilfe gibt.

Über zwei Jahre Corona-Pandemie und jetzt auch noch Krieg in der Ukraine. Beides sind Ereignisse, unter denen wir alle leiden. Wie macht sich das in Ihrer Arbeit bemerkbar?

Nischk: Wir bekommen die Auswirkungen in zwei Bereichen zu spüren: Einerseits ist es im Moment schwieriger, Menschen einen Arbeitsplatz zu vermitteln, weil es zwischenzeitlich weniger offene Stellen gab und weil viele Betriebe Erprobung und Kurzpraktika gar nicht angeboten haben. Andererseits konnten sich viele unserer Klientinnen und Klienten im ersten Lockdown schlechter an die neue Situation anpassen. Auf jeden Fall ist durch die Pandemie mehr Leid entstanden. Das sieht man auch an den Zahlen: Es gibt mehr Überlastung, Depressivität und auch höhere Belegungszahlen im Krankenhaus.

Haid: Die ja meist jungen Menschen, die sich in einer Ausbildung befinden, haben schon sehr unter den coronabedingten Einschränkungen gelitten: die Gleichaltrigen, die Freunde, nicht sehen zu können, der Ausfall des Berufsschulunterrichts, fehlende soziale Kontrolle. Für psychisch Belastete ist eine feste Tagesstruktur enorm wichtig, weil sie Halt gibt. Fällt sie weg, dann geht es den meisten noch schlechter.

Mit welchen psychischen Erkrankungen haben Sie in Ihrer Arbeit zu tun?

Haid: Bei meinen Begleitungen ist ADHS relativ häufig. Zurzeit habe ich aber auch mehrere Fälle im Autismus-Spektrum. Immer ein Thema sind Depressionen und Süchte in jeglicher Form.

Nischk: Wir vom Supported Employment haben mit allen möglichen Formen von psychischen Problemen zu tun, wie z.B. Depression in der Lebensmitte, Burnout, aber auch schweren psychischen Erkrankungen wie Psychosen, Suchterkrankungen oder bipolaren Störungen. Das sind häufig Menschen, die hierher ins Krankenhaus kommen, um behandelt zu werden und dann ins Supported Employment übergehen.

Supported Employment, also unterstützte Beschäftigung, und Ausbildungsbegleitung klingen ja recht ähnlich. Wodurch unterscheidet sich Ihre jeweilige Arbeit?

Haid: Ich begleite Auszubildende mit Problemen ganz allgemein in der Ausbildung. Am häufigsten geht es dabei um die Berufsschule, das Lernen und Behalten des Lernstoffs. Manchmal gibt es auch Schwierigkeiten im Betrieb, wenn es Missverständnisse oder Fehlverhalten gegeben hat. In solchen Fällen versuche ich zu vermitteln und Lösungswege aufzuzeigen, damit man wieder miteinander arbeiten kann. In einem dritten Bereich nähern wir uns dann dem Supported Employment: Da geht es um junge Leute, die persönliche, private oder gesundheitliche Probleme haben, die sich negativ auf die Ausbildung auswirken.

Nischk: Wir kommen eher aus dem Bereich des psychiatrischen Krankenhauses und wollen Menschen mit bereits festgestellten psychischen Problemen oder Erkrankungen ein inklusives Leben mit einem Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen. Mit der Ausbildungsbegleitung der Handwerkskammer oder auch der IHK haben wir natürlich eine große Schnittmenge: Bei jungen Menschen treten psychische Erkrankungen zum ersten Mal häufig in der Ausbildung oder in der schulischen Begleitung auf.

Götz: Wir arbeiten netzwerkorientiert und beziehen unterstützende Angehörige sowie psychiatrische Hilfen in unsere Tätigkeit mit ein. Dabei ist es unser Ziel, eine wirklich inklusive Arbeit zu gewährleisten, also zu erreichen, dass Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nicht nur toleriert, sondern akzeptiert werden.

Wie gehe ich konkret vor, wenn mir auffällt, dass mit meinem Auszubildenden etwas nicht stimmt?

Haid: Bitte sprechen Sie Auszubildende darauf an – auf eine Art, dass er oder sie das Angebot auch annehmen kann. Was nicht geht: auf dem Weg zur Baustelle im Beisein von Kollegen zu fragen: „Was ist eigentlich los mit Dir?“ Besser ist ein Gesprächsangebot unter vier Augen, am besten mit einer Person, zu der der oder die Betroffene schon ein Vertrauensverhältnis hat. Und dann ganz einfach vorsichtig fragen à la: „Uns ist aufgefallen, dass…“ Erst einmal nur beschreiben, was ist, nicht gleich überinterpretieren. Und dann schauen, wie die Reaktion ausfällt und sich behutsam an das Thema herantasten.

Ab wann wendet man sich an die Ausbildungsbegleitung?

Haid: Bei uns kann man immer anrufen, egal ob Ausbilder, Lehrerin oder Auszubildender. Und auch, wenn man nur das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt. Es muss noch gar nichts Schlimmes vorgefallen sein. Wir beraten auch gerne präventiv.

Nischk: Man muss verstehen, dass zur Lösung eines Konflikts das Hinzuziehen einer dritten Partei oft unerlässlich ist. Denn Betrieb und Auszubildender haben jeweils bestimmte, grundverschiedene Interessen: Der Auszubildende möchte seine Ausbildung machen, und der Betrieb hat ein betriebswirtschaftliches Interesse. Man kann nicht offen über Probleme reden, wenn noch andere Interessen im Spiel sind. Ein Job-Coach oder eine Ausbildungsbegleiterin hat sozusagen kein persönliches Interesse, kann also neutral sein, objektiv urteilen und daher am besten vermitteln.

Welchen Rat geben Sie unseren Mitgliedsbetrieben?

Haid: Ich würde mich freuen, wenn Betriebe und auch Institutionen psychische Krankheiten so wahrnehmen würden wie andere Erkrankungen auch – als Einschränkung, für die der oder die Betroffene nichts kann und für die man Hilfsmittel und Hilfswege zur Verfügung stellen sollte statt diese Menschen zu stigmatisieren.

Götz: Ein gutes Betriebsklima tut allen Mitarbeitenden gut. Wenn es im Betrieb z.B. ohnehin schon eine Gesprächskultur gibt, ist das eine gute präventive Maßnahme, weil der Arbeitnehmer immer weiß: Ich kann auch mal sagen, wenn es mir schlecht geht, ohne dass ich gleich gekündigt werde.

Nischk: Es ist doch im Interesse der Arbeitgeber und der gesamten Gesellschaft, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, weil immerhin 50 Prozent aller Menschen im Laufe ihres Lebens die Kriterien für eine psychische Erkrankung erfüllen. Psychische Krisen gehören zum Menschsein dazu. 40 Prozent der Frühverrentungen gehen auf psychische Erkrankungen zurück. So gesehen ist es eine sehr teure Extravaganz, die wir uns da leisten, wenn wir den Menschen nicht helfen.

Veranstaltung: Psychisch stark durch die Ausbildung

Wenn Auszubildende psychisch instabil werden oder erkranken, stellt das für alle, die an der Berufsbildung beteiligt sind, eine Herausforderung dar.

Was genau sind psychische Erkrankungen und woran erkenne ich Sie? Wie spreche ich meine/n Auszubildende/n darauf an und wie gehe ich richtig mit ihm oder ihr um? Diese und weitere Fragen beantwortet Psychotherapeut Dr. Daniel Nischk in einem einleitenden Vortrag zum Thema. Anschließend geben Ausbildungsbegleiterin Katja Haid und Job Coach Sandra Götz Einblicke in ihre praktische Arbeit und eine Übersicht der Unterstützungsmöglichkeiten. Nach einer Podiumsdiskussion gibt es bei einem Imbiss auch die Möglichkeit, Einzelgespräche mit den Expertinnen und Experten zu führen.

Die Veranstaltung findet am 5. Mai 2022 ab 17 Uhr in der Bildungsakademie Singen statt. Sie richtet sich an Ausbildungsverantwortliche in den Betrieben aus dem Bezirk der Handwerkskammer Konstanz, ist aber auch offen für alle weiteren Interessierten wie beispielswiese Eltern, Auszubildende, Lehrkräfte und Unterstützer. Sie ist Teil der Veranstaltungsreihe „Ausbildung nachhaltig gestalten: Auszubildende finden, binden, führen“ und wird gefördert von der Personaloffensive Handwerk 2025 sowie dem Programm „Erfolgreich ausgebildet – Ausbildungsqualität sichern“.



 

Ausbildungsbegleitung und Supported Employment

Katja Haid ist seit 2013 Ausbildungsbegleiterin bei der Handwerkskammer Konstanz und zuständig für die Landkreise Konstanz, Tuttlingen und Rottweil. Das vom Land geförderte Projekt „Erfolgreich ausgebildet“ hat seit 2015 schon 5.000 Auszubildende begleitet. Eine der rund 25 geförderten Ausbildungsbegleiterinnen ist Alexandra Hagen-Ettl, die sich bei der Handwerkskammer Konstanz um Anfragen aus den Landkreisen Schwarzwald-Baar und Waldshut kümmert.

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Das Supported Employment-Projekt des Zentrums für Psychiatrie Reichenau (ZfP) existiert ebenfalls seit 2015. Statt psychisch beeinträchtigte Menschen in einem geschützten Raum auf die Wiedereingliederung vorzubereiten, steht ihnen hier ein Job Coach wie Sandra Götz zur Seite. Job Coaches unterstützen im Landkreis Konstanz bei der Job-Suche, dem Job-Erhalt und der Berufsorientierung.

Weitere Informationen zum Supported Employment-Team des ZfP Reichenau

Portrait von Katja Haid HWK KN

Katja Haid

Ausbildung und Prüfung
Ausbildungsbegleitung (Landkreise Konstanz, Tuttlingen und Rottweil)

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Fax 07531 205-6346

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Alexandra Hagen-Ettl

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