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Einkaufstourismus und Umsatzsteuerrückerstattung"Wir brauchen eine Lösung, die die Vorteile für die Region erhält"

Die grenzüberschreitende Konsumnachfrage aus der Schweiz ist ein tragender Pfeiler der wirtschaftlichen Entwicklung der Region von Konstanz entlang des Hochrheins bis Weil am Rhein. Weil zum Einkauf meist nur eine Brücke überquert werden muss – in Konstanz nicht einmal das – ist sie zum Nahversorger der Nordschweiz geworden. Über viele Jahre hinweg sind so auch im ländlichen Raum erhebliche Verkaufsflächen entstanden, der Einzelhandel hat sein Angebot ständig ausgebaut und in die Stadt- und Ortskerne investiert. Auch das Handwerk, die Gastronomie und die Hotellerie schätzen die Nachfrage aus dem Nachbarland.

Die Umsatzsteuerrückerstattung für Schweizer Kunden, die Waren „im nichtkommerziellen Reiseverkehr“ ausführen, ist ein maßgeblicher Treiber dieses so genannten Einkaufstourismus. Weil die Schweiz ihrerseits auf die eigentlich fällige Einfuhrumsatzsteuer im Rahmen großzügiger Freibeträge verzichtet und darüber hinaus mit Mehrwertsteuersätzen von 7,7% und 2,5% markant unter den deutschen liegt, verbleibt der Vorteil bei den Kunden. Und weil die Erstattung der deutschen Umsatzsteuer regelmäßig beim nächsten Einkauf erfolgt, wirkt das Verfahren wie ein Kundenbindungssystem.

Dieser „win-win“ – Situation für Schweizer Kunden und deutsche Anbieter droht nun ausgerechnet von deutscher Seite ein empfindlicher Rückschlag. Die Rückerstattung der Umsatzsteuer soll erst ab 175 Euro je Einkauf erfolgen, fordert der Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages (RPA) von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Weil der ganz überwie­gende Anteil aller Einkäufe unserer Nachbarn unter der 175 Euro-Grenze bleibt, sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen besonders betroffen, Wirtschaftskammern und Handelsverband alarmiert.     

In einem Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz appellieren die IHK Hochrhein-Bodensee, die IHK Südlicher Oberrhein, die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg sowie die Handwerkskammern Konstanz und Freiburg unisono, eine sogenannte Bagatellgrenze dürfe - wenn überhaupt - nur im unteren zweistelligen Bereich angesiedelt sein. Alles andere füge der Region ohne Not Schaden zu.

Verständnis haben die Wirtschaftskammern für die Menschen an einigen „hot spots“, die sich von der schieren Zahl der Gäste aus der Schweiz, von Schlangen an der Kasse, vom Verkehrsaufkommen und überfüllten Parkhäusern gestört fühlen. „Auch die Belastung des Zolls ist so nicht hinnehmbar“, bekräftigt IHK-Hauptgeschäftsführer Prof. Claudius Marx. Gerade deshalb sei es geboten, intelligente Lösungen zu finden, die allen Seiten gerecht würden.

„Das Thema auf vermeintlich entgangene Steuereinnahmen zu reduzieren, ist dagegen deutlich unterkomplex“, so Prof. Marx. „Wer nur einen Aspekt in den Blick nimmt, kann kaum adäquate Lösungen entwickeln. Hier geht es nicht nur um die Umsatzsteuer, sondern um Arbeits- und Ausbildungsplätze, um Angebotsvielfalt und Innenstadtentwicklung, um Versorgungsqualität im ländlichen Raum, um den Erfolg unserer Mitgliedsunternehmen, aber auch um Lohn-, Einkommens- und Gewerbesteuer. Die Nachfrage aus der Schweiz aktiv auszubremsen, wäre deshalb in hohem Maße unklug. Dagegen ist die Digitalisierung des Verfahrens seit Jahren überfällig.“

Auch das Handwerk habe ein großes Interesse daran, die Schweizer Kundschaft in der Region zu halten, sagt Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz: „Gerade unsere kleinen familiengeführten Handwerksunternehmen mit angeschlossenem Handel profitieren davon. Nicht zu vernachlässigen ist aber auch der Nebeneffekt, dass Kunden, die über die Grenze zum Einkaufen kommen, bei der Gelegenheit auch gleich handwerkliche Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder beauftragen. Letztendlich tragen Kunden aus der Schweiz dazu bei, dass wir als starker, gemeinsamer Wirtschaftsraum die Nahversorgung auch in kleineren Orten mit der notwendigen Qualität aufrechterhalten können.“   

Nicht nur die fünf Wirtschaftskammern befürchten, dass die Region mit der jetzt geforderten, höchst möglichen Wertgrenze spürbaren Schaden nähme. Auch die Landkreise Lörrach und Waldshut sowie zahlreiche Stadtoberhäupter haben sich bereits zu Wort gemeldet. Gemeinsam ist ihnen die Sorge um die Prosperität der Region.

„Die gesamte Wirtschaft in unserer Region wird brutale Einschnitte hinnehmen müssen“, sagt Jörg Hieber, Gründer und Inhaber der Lörracher Einzelhandelskette Hieber’s Frische Center KG. „Für uns wird das hart, aber nicht existenzbedrohend. Wir werden aber Personalkosten reduzieren müssen, wenn die Umsätze zurückgehen. Betroffen wären bis zu 100 Mitarbeiter. Größere Sorgen mache ich mir um kleinere Unternehmen und die Gastronomie, deren Existenz stark vom Einkaufstourismus abhängt. Dort werden die Auswirkungen schnell zu spüren sein.“

Auch Dorothea Schreiner, Inhaberin der Buchhandlung Schreiner in Lauchringen und Vorsitzende des Lauchringer Handels- und Gewerbekreis, befürchtet wirtschaftlichen Schaden. „Eine Bagatellgrenze in Höhe von 175 Euro ist keine Bagatelle und daher viel zu hoch angesetzt. Die Leidtragenden wären vor allem die kleinen Einzelhandelsgeschäfte, die vielerorts ohnehin schon ums Überleben kämpfen müssen und doch gerade unsere Innenstädte aufgrund ihres vielfältigen Kaufangebots bereichern. Die Vermutung liegt nahe, dass lediglich die großen Discounter profitieren würden. Nicht die Rückerstattung ist das Problem, sondern das Verfahren - und hier brauchen wir eine digitale Lösung.“