E-Vergabe
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Betriebe müssen sich auf e-Vergabe einstellen

Öffentliche Ausschreibungen wandern zunehmend ins Internet - wie sich Handwerksbetriebe für die elektronische Vergabe wappnen

Handwerker, für die öffentliche Aufträge keine Rolle spielen, können sich beim Thema elektronische Vergabe, kurz e-Vergabe, entspannt zurücklehnen. Für ihre Kundenakquise ändert sich nichts. Doch alle anderen müssen sich darauf einstellen, dass öffentliche Ausschreibungen immer häufiger auf Online-Vergabeportalen erscheinen statt in der Tageszeitung. Und das ist nur der erste Schritt bei der Digitalisierung des Vergabewesens. Nach einer Übergangsfrist werden nicht nur die Ausschreibungen ins Internet umziehen, sondern für die meisten Auftragsarten der gesamte Vergabeprozess (Termine und Details siehe unten). Unternehmen können ihre Angebote dann nicht mehr im Papierkuvert abgeben, sondern nur noch über eine digitale Plattform.

So weit ist es in Tuttlingen zwar erst im nächsten Jahr. Aber ihre Ausschreibungen und Vergabeunterlagen hat die Donaustadt im April 2017 bereits komplett ins Internet verlegt. Auf der Plattform www.dtvp.de (Deutsches Vergabeportal), und nur dort, stellt die Verwaltung die Vergabeunterlagen zur Verfügung. „Wir werden nicht zweigleisig fahren“, macht Oberbürgermeister Michael Beck klar, dass es keine Papierunterlagen an die Bieter mehr gibt. Betriebe geben ihre Angebote allerdings weiterhin schriftlich ab. Für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte (siehe unten) akzeptiert Tuttlingen Angebote und Teilnahmeanträge in Papierform aber nur noch bis 18. Oktober 2018.



Vorteile der e-Vergabe

Beck ist klar, dass e-Vergabe Unternehmen aus ihren eingespielten Routinen zwingt und vor allem kleinere Betriebe vor Schwierigkeiten stellt. „e-Vergabe darf nicht dazu führen, dass regionale Handwerksbetriebe ausgegrenzt werden“, betont er. Nach Überwindung anfänglicher Berührungsängste sähen die meisten Firmen ohnehin die Vorteile der digitalen Ausschreibungen. Beck: „Sie müssen Vergabeunterlagen nicht mehr anfordern und auf den Posteingang warten. Und sie können sofort nach Veröffentlichung der Ausschreibung auf die Unterlagen zugreifen – zu jeder Tageszeit.“ Doch nach wie vor sehen nicht alle nur die Vorteile, berichtet Tuttlingens Oberbürgermeister. „Es gibt auch kleinere Firmen, die sich beklagen, dass sie keine Ausschreibungen mehr sehen beziehungsweise das Verfahren zu aufwändig sei.“

Ab 18. Oktober 2018 haben öffentliche Auftraggeber wie Kommunen und Landkreise das Recht, den gesamten Vergabeprozess auch für Bauaufträge unter 5.225.000 Euro komplett auf e-Vergabe umzustellen. Sie müssen dann keine Papierunterlagen von Bietern mehr annehmen, wenn sie das nicht wollen. Nach Ansicht von Joachim Vojta, Vergabeexperte bei der Handwerkskammer Konstanz, kann diese Änderung Nachteile für Betriebe mit wenigen Mitarbeitern bringen. „Es besteht das Risiko, dass die ganz Kleinen unter die Räder kommen.“ Der Jurist kennt die Argumente für die e-Vergabe: Transparenz, einfachere Beschaffungsvorgänge, Zeit- und Kostenersparnis, kürzere Zustellzeiten. „Das mag alles sein. Aber für die kleineren Betriebe ist e-Vergabe erst einmal mehr Aufwand.“ Neben den technischen Voraussetzungen wie möglicherweise eine oder mehrere elektronische Signaturen ist das vor allem die Zeitinvestition, bis ein Mitarbeiter die korrekte elektronische Angebotsübermittlung routiniert beherrscht.



Vojtas Rat an unschlüssige Handwerksunternehmen: „Betriebe, die viel mit öffentlichen Aufträgen zu tun haben, müssen sich auf e-Vergabe einrichten. Wer nur ab und zu bei öffentlichen Aufträgen mitmacht, muss überlegen, ob sich der Aufwand für ihn lohnt.“ Der Vergabespezialist denkt, dass öffentliche Auftraggeber bei Bauleistungen unter der Schwelle von 5.225.000 Euro noch sehr lange schriftliche Angebote zulassen. „Bei kleineren Aufträgen und im ländlichen Raum, wo man eher kleine Betriebe anspricht, wird es noch auf Jahre schriftlich gehen, um dort die Betriebe nicht abzuhängen“, prognostiziert Vojta. Der Markt für öffentliche Bauaufträge ist groß. Allein in Baden-Württemberg betrug das Volumen laut Statistischem Bundesamt 3,3 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.  

Unternehmen sollten sich auf E-Vergabe einstellen

Für Tuttlingen ist die Vergabezukunft digital. Oberbürgermeister Michael Beck fordert die Unternehmen in der Region daher auf, sich auf e-Vergabe einzustellen. „Handwerksbetriebe sollten eventuelle Bedenken gegenüber dieser ‚neuen‘ Art der Ausschreibung überwinden und nicht zögern, bei Problemen auf die Vergabestellen zuzugehen und um Unterstützung zu bitten“, sagt Beck.

 

Alles Wissenswerte auf einen Blick

Als e-Vergabe (elektronische Auftragsvergabe) wird der Einsatz elektronischer Mittel bei der Beschaffung von Liefer-, Dienst- und Bauleistungen durch öffentliche Auftraggeber bezeichnet. Mit der Vergaberechtsreform 2016, die am 18. April 2016 in Kraft trat, ist der Einsatz elektronischer Mittel jetzt Pflicht. Ein Ausweichen auf Papierform und Postweg ist nur noch in Ausnahmefällen erlaubt. Die EU verspricht sich durch elektronische Vergabe mehr Effizienz und Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen.

Zeitplan für Bauleistungen (VOB/A)

Seit 18. April 2016 müssen Bekanntmachungen und Vergabeunterlagen europaweiter Ausschreibungen in Deutschland elektronisch veröffentlicht werden. Für EU-weite Ausschreibungen (geschätzter Auftragswert oberhalb 5.225.000 Euro Gesamtvolumen) wird am 18. Oktober 2018 auch der elektronische Datenaustausch zwischen Vergabestelle und Bewerber bzw. Bieter bis zur elektronischen Angebotsabgabe zur Pflicht. Bei Aufträgen im Unterschwellenbereich (unter 5.225.000 Euro), der vor allem für regionale Handwerksunternehmen interessant ist, gilt hingegen Wahlfreiheit. Hier entscheidet auch nach Oktober 2018 die Vergabestelle, ob sie nur elektronische Angebote zulässt, nur schriftliche oder beide Formen. Handwerksbetriebe können sich dann nicht mehr darauf verlassen, dass Angebote in Papierform im Vergabeverfahren berücksichtigt werden.

Zeitplan für Lieferungen und Dienstleistungen (VOL/A, UVgO)

Auch hier müssen die Vergabeunterlagen europaweiter Ausschreibungen seit 18. April 2016 elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Über dem EU-Schwellenwert von 209.000 Euro müssen zentrale Beschaffungsstellen seit 18. April 2017 das gesamte Vergabeverfahren bis zum Zuschlag elektronisch abwickeln, alle anderen Stellen ab 18. Oktober 2018. Für nationale Vergaben unterhalb der Auftragsschwelle von 209.000 Euro wird die elektronische Angebotsabgabe für Bieter ab 1. Januar 2020 Pflicht. Ausgenommen sind Auftragswerte unter 25.000 Euro netto.